3/15/2005

 

Stereo Total

Endlich! Drei Jahre nach dem Welterfolg von Musique Automatique schenkt uns das Berliner Duo Stereo Total mit Do the Bambi einen neuen Einblick in seine musikalische Seelenzustände : wütend in "Ne m'appelle pas ta biche" oder "Cannibale", in herrlicher Diskolaune bei "Babystrich", von Elektrosternen getroffen bei einem "Mars Rendezvous" mit Jacno, durch "Partymädchen, gefoltert" halluziniert, Anhänger der Freikörperkultur in "Ich bin Nackt", erschreckend scharfsinnig in "La douce humanité", außer sich vor Liebe in "Das erste Mal" oder "Hunger" und Kinofreunde in "Cinémania" oder "Vive le week-end", einem der vier Titel, die ursprünglich als Live-Begleitung für den Jean-Luc Godard-Films "Weekend" komponiert wurden. Insgesamt 19 Stücke innerhalb 55 atemloser Minuten, in ihrer Essenz treu zum Eklektizismus, welcher die Magie dieser Band ausmacht. Komisch, nicht rührselig, spielerisch, sich nichts über die eigene Attitüde und die durch Huldigungen an die Musikgeschichte tausendfach beglichene Schuld vormachend, verkündet Stereo Total nur eins: "Musik ist unsere Freundin", wie Françoise Cactus, unumstrittene Königin der "Partys anticonformistes" hier und anderswo, es im vorletzten Stück des neuen Albums singt. Dort geht es darum, unter die Erde zu gehen, um Musik zu hören und zu den Beats zu tanzen, das Gesetz der Stille (und der Stile) ignorierend. Underground, wenn du uns in deinen Bann ziehst ... (Sowieso, wozu Britney Spears werden, wenn man am Ende Menschen dazu animiert, G.W. Bush wählen zu gehen). Zitieren wir zur Erinnerung einige kurze Auszüge aus dem "Handwörterbuch der Gattungen und weiterer semantischer Konstrukte", das durch die fünf vorherigen Alben seit der Entstehung von Stereo Total entstand, die sich mit "Do the Bambi" ein schönes Geschenk zu ihrem 10. Geburtsjahr machen : «40% Chanson, 20% R'n'R, 10% Punkrock, 3% DAF-Sequenzer, 4% Jacques Dutronc-Rhythmique, 7% Brigitte Bardot and Serge Gainsbourg, 1,5% Cosmonaute, 10% really old synthesizers, 10% 8-bit Amiga-sampling, 10% transistor amplifier, 1% really expensive and advanced instruments» ... «Yéyétronic, electropunky, kitsch & speed, sissilistening, bricolopop, Berliner juke-box» ... «a minimalistic production (in a positive sense), meaning a home-made-trash-garage-sound crossed with underground, authentic as well as amateurish, ironic as well as effective, pop as well as ... political.» Und dazu kommt, dass die Kinder (und die Punker und die jungen Modistinnen und die Träumerinnen und Träumer jeder Sorte und aller Länder) diese Musik lieben. Also Vorsicht, das Bambi aus dem Titel soll nicht missverstanden werden. Die Play-guitar-&-synthesizer-for-the-children-Melodien von Brezel Göring sind zu speed und zu zerrissen, das zerbrechliche Puppenhafte an Françoise Cactus' Stimme gehorcht zu gern einem tobenden "noisy" Rhythmus, um einer Arlequin-Verdummung oder einer hübsch verpackten rosa Bibliothek zu dienen, die gerade ausreichen würden, die rebellische japanische Jugend zum Schmelzen zu bringen oder die Zuhörer aus den USA oder Deutschland lächeln zu lassen wegen des "french touch". Rock'n'roll will never die! Und hören wir die Lyrics, dort ist die Traurigkeit à la Sagan, die Wut tatsächlich à la Godard, und der Kummer der Liebe flirtet stets mit seinem Glück. Und wie erklären uns Stereo Total selbst ihr Album? "Nach dem Cover zu urteilen ist es eine Mischung aus Kitsch und Kaputtsein. Die Platte beschäftigt sich intensiv mit Filmgeschichte und Liebessehnsucht. Do the Bambi bedeutet soviel wie "Zeig deine schönen Augen unter deinen langen Wimpern und rette mich aus dem Inferno meines Egos und der tristen gemeinen Welt!" Was die Band während all diesen Aufnahmen dachte: "Die Platte wird besser, wenn man jedes Lied mitpfeifen kann". Pfeift ihr darauf oder pfeift ihr mit?
Stereo Total - Hunger
MP3 3.48MB, VBR, 44kHz

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